Mülheim an der Ruhr
ist eine kreisfreie Stadt im westlichen Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen.
Die Stadt ist als Mittelzentrum eingestuft. Sie liegt direkt an der Ruhr
sowie der nahe gelegenen Landeshauptstadt, zwischen den angrenzenden
Oberzentren Duisburg und Essen Düsseldorf.
Die Verleihung der Stadtrechte erfolgte 1808. Ein Jahrhundert später
überschritt die Einwohnerzahl die Grenze von 100.000 Einwohnern und machte
Mülheim an der Ruhr damit zur Großstadt. Zur Zeit ihres 200-jährigen
Jubiläums im Jahr 2008 zählte sie mit ihren etwa 170.000 Einwohnern zu den
kleineren Großstädten des Landes.
Mülheim wurde mit der Schließung der Zeche Rosenblumendelle zur ersten
bergbaufreien Großstadt des Ruhrgebiets. Die einstige Leder- und
Montanstadt hat den Wandel zu einem branchenvielfältigen
Wirtschaftsstandort mittlerweile erfolgreich vollzogen. Die „Stadt am
Fluss“ gilt mit über 50 Prozent Grün- und Waldflächen als ein attraktiver
Wohnort zwischen Düsseldorf und dem Ruhrgebiet, ist Sitz zweier
Max-Planck-Institute und seit 2009 Standort der neu gegründeten Hochschule
Ruhr West.
Geografie:
Geografische Lage
Mülheim an der Ruhr liegt am Kreuzungspunkt von niederbergischen
Hügelland, Westhellweg und mittlerer Niederrheinebene.
Die Innenstadt befindet sich etwa 12 Kilometer östlich der Mündung der
Ruhr in den Rhein an beiden Ufern des Flusses, der das Stadtgebiet auf
einer Länge von 14 Kilometern von Südosten nach Nordwesten durchmisst.
Zwischen Broich am linken Ufer und dem Kirchenhügel auf der rechten
Uferseite, der Mülheimer Pforte, verlässt die Ruhr die Ausläufer des
rheinischen Schiefergebirges und erreicht das niederrheinische Tiefland.
Mit der Lage des Stadtzentrums direkt am Fluss zeigt sich ein
Alleinstellungsmerkmal Mülheims im Ruhrgebiet.
Geologie
Hinsichtlich der geologischen Struktur liegt die Stadt ebenfalls in dem
dreigeteilten Grenzbereich. Die nordöstlich der Ruhr gelegenen Flächen
zählen mit ihren reichen Lössböden zum Naturraum des Westenhellwegs. Der
Übergang zur Westfälischen Bucht lässt sich nur schwer anhand der
Oberflächenformen abgrenzen, wohingegen die Formationen des Bergischen
Landes und das Niederrheinische Tiefland deutlich erkennbar sind. Mit der
markanten Felsformation des Kahlenberghanges streichen die im Karbon
entstandenen kohleführenden Schichten an den nördlichen Ausläufern des
Schiefergebirges aus. Die Ruhr erodierte hier über 50 Meter tief in dieses
Mittelgebirge hinein und legte dabei die Steinkohleflöze teilweise frei,
was das Schürfen der Steinkohle im Stollenbetrieb ermöglichte. Nach Norden
hin senken sich die kohleführenden Schichten immer tiefer unter die
Erdoberfläche, was den Betrieb von Bergwerken zum Steinkohleabbau
erfordert. Die breite Styrumer Flussaue zeigt demgegenüber mit ihren
Altarmen die charakteristischen Züge der Niederrheinebene.
Klima
Mülheim weist, durch die Lage im Westen Deutschlands, ein ganzjährig
gemäßigtes Klima auf. Insgesamt ist das Klima eher maritim als kontinental
geprägt und es zeigen sich typische klimatische Merkmale besonders dicht
besiedelter Räume. Der ostwärts steigenden Geländehöhe folgen die
kleinklimatischen Verhältnisse, die bei den Niederschlägen von zirka
700 mm/Jahr in der Styrumer Ruhraue auf bis zu 900 mm/Jahr an der
Stadtgrenze zu Essen-Fulerum ansteigen, während das Tagesmittel von 9,5 °C
auf 8 °C absinkt.
Nachbarstädte und Stadtgebiet
Die Stadt Mülheim an der Ruhr grenzt im Norden an die kreisfreie Stadt
Oberhausen und im Osten an die kreisfreie Stadt Essen. Im Süden liegt der
Ballungsraum Düsseldorf mit der Stadt Ratingen im Kreis Mettmann und im
Westen die kreisfreie Stadt Duisburg. Die Gesamtlänge der Stadtgrenze zu
den Nachbarstädten beträgt 49 km.
Das Stadtgebiet dehnt sich in Nord-Süd-Richtung 13,4 km sowie in
West-Ost-Richtung 10,7 km aus. Der höchste Punkt im Stadtgebiet misst
152,7 m über NHN und liegt in der Nähe des
Flughafen Essen-Mülheim. Der mit 26,0 m über NHN niedrigste Punkt
befindet sich am Übergang der Ruhr nach Duisburg.
Die Gesamtfläche des Stadtgebiets umfasst 91,29 km², die zu etwa gleichen
Anteilen versiegelt sind (Gebäude, Freiflächen, Verkehrsflächen) und als
Wald- und Grünflächen dienen oder landwirtschaftlich genutzt werden.
Insbesondere der Mülheimer Süden bildet entlang der Hänge des Ruhrtals die
grüne Lunge der Stadt.
Stadtgliederung
Aus historischer Sicht werden insgesamt neun
Stadtteile
unterschieden, die bis zu ihrer Eingemeindung selbständige Ortschaften
waren. Seit 1975 ist Mülheim zudem in die drei Stadtbezirke Linksruhr,
Rechtsruhr-Nord und Rechtsruhr-Süd gegliedert. 1984
beschloss der Rat der Stadt für die Ausarbeitung langfristiger
Entwicklungskonzepte und für statistische Zwecke die Einteilung des
Stadtgebietes in sechs Teilräume, die unter Berücksichtigung der
historischen und der strukturbedingten Zusammenhänge eingeteilt wurden.
Diese Teilräume sind weiter gefasst als die historischen Stadtteile,
führen jedoch teilweise deren Namen fort.
Nr |
Stadtteil |
Teilraum |
Bezirk |
Fläche
[km²] |
Einwohner 1) |
Einwohner
[pro km²] |
|
|
|
|
|
|
|
|
1 |
Altstadt I |
1 Stadtmitte |
1 Rechtsruhr-Süd |
3,20 |
19.701 |
6.152 |
2 |
Altstadt II |
1 Stadtmitte 2) |
1 Rechtsruhr-Süd 2) |
5,79 |
24.717 |
4.269 |
3 |
Styrum |
2 Styrum |
2 Rechtsruhr-Nord |
4,44 |
15.467 |
3.484 |
4 |
Dümpten |
3 Dümpten 4) |
2 Rechtsruhr-Nord 4) |
5,51 |
18.899 |
3.430 |
5 |
Heißen |
4 Heißen 3) |
1 Rechtsruhr-Süd 3) |
8,88 |
21.484 |
2.419 |
6 |
Menden-Holthausen |
1 Stadtmitte |
1 Rechtsruhr-Süd |
17,30 |
13.611 |
787 |
7 |
Saarn |
5 Saarn |
3 Linksruhr |
26,92 |
23.736 |
882 |
8 |
Broich |
6 Broich/Speldorf |
3 Linksruhr |
8,78 |
13.951 |
1.589 |
9 |
Speldorf |
6 Broich/Speldorf |
3 Linksruhr |
10,46 |
18.026 |
1.723 |
1) Stand: 31. Dezember 2008
2) Aus dem Stadtteil Altstadt II wurden Teile (Altstadt II-Nordost
und Papenbusch) ausgesondert und dem Teilraum Dümpten im Bezirk
Rechtsruhr-Nord zugeordnet
3) Aus dem Stadtteil Heißen wurden Teile (Winkhausen-Nord)
herausgenommen und dem Teilraum Dümpten im Bezirk Rechtsruhr-Nord
zugeordnet
4) Der Teilraum Dümpten besteht aus dem historischen Stadtteil und
den oben unter Punkt 2 angegebenen Erweiterungen
Geschichte
Im Jahre 1093 erfuhr die Stadt als Mulinhem ihre erste urkundliche
Erwähnung als Gerichtsstätte innerhalb des Ruhrgaues. In jüngeren Urkunden
wurde der Name zu Molenheim und Molnheim
abgewandelt, aber die Deutung des Namens Mülheim als Heim der
Mühlen weist darauf hin, dass die Bewohner im Mittelalter ihrer
Siedlung als besonderes Charakteristikum die Existenz von Mühlen zuwiesen.
Ob dies wegen der Vielzahl oder der herausragenden Bedeutung einer
einzelnen Mühle erfolgte, ist nicht mehr feststellbar.
Mittelalter
Die Geschichte der Stadt Mülheim ist eng verbunden mit den beiden
historischen Siedlungszentren, dem Schloss Broich auf der linken und dem
Kirchenhügel auf der rechten Ruhrseite. Schloss Broich, Sitz der
Edelherren von Broich und später ihrer adligen Nachfolger, wurde im
letzten Viertel des 9. Jahrhunderts, wahrscheinlich im Winter 883/884, als
Wehranlage gegen die Überfälle der Wikinger an der historischen Ruhrfurt
des alten Hellwegs errichtet. Der Kirchenhügel war immer der
wirtschaftliche und religiöse Siedlungskern.
Um 1200 wurde im Süden des heutigen Mülheimer Stadtgebiets das
Zisterzienserinnenkloster Saarn gegründet, doch von den Gründern und den
ersten Frauen im Kloster ist sehr wenig bekannt. Einige Jahrzehnte später,
in einer zweiten Gründungsphase, wurde Erzbischof Engelbert I. von Köln im
Rahmen seiner politischen Aktivitäten als Erzbischof, Graf von Berg und
zugleich Reichsverweser und Erzieher des minderjährigen Königs
Heinrichs VII. auf Kloster Saarn aufmerksam. Engelbert sorgte
wahrscheinlich für die Aufnahme der Saarner Nonnen in den
Zisterzienserorden und die Einführung einer strengen Klausur, außerdem für
eine umfangreiche Privilegierung des Klosters durch den Papst und das
Reich. In der Folgezeit erhielt das Kloster zahlreiche Schenkungen aus dem
Mülheimer und dem benachbarten Raum und auch von den Herren von Broich.
König Heinrich wurde – vermutlich auf Veranlassung Engelberts – von den
Nonnen in ihrem Memorienbuch als
fundator (Gründer) geehrt.
Weil im Jahre 1372 die Herren von Broich ausstarben, fiel Schloss Broich
zunächst an die Grafen von Isenberg-Limburg. Dem Kölner Erzbischof
Dietrich II. von Moers und Herzog Gerhard von Jülich-Berg gelang 1443
gemeinsam die Eroberung und Inbesitznahme Broichs, wobei die Burg stark
zerstört wurde. Nach dem Aussterben der Grafen von Isenberg-Limburg-Broich
in männlicher Linie im Jahr 1511 erbte 1508 Wirich V. von Daun-Falkenstein
sowie später seine Nachfolger die Herrschaft.
Frühe Neuzeit
Im 16. Jahrhundert entzogen sich die Landesherren der Herrschaft Broich
mit Hilfe der Herzöge von Berg den kurkölnischen Ansprüchen auf Broich. Im
17. und 18. Jahrhundert gelang es dem Herzogtum Berg, Souveränitätsrechte
über die Herrschaft Broich geltend zu machen.
Während des spanisch-niederländischen Achtzigjährigen Kriegs, der auch den
Niederrhein und Westfalen in Mitleidenschaft zog, belagerten im Jahre 1598
spanische Truppen Schloss Broich, das schließlich kapitulierte und besetzt
wurde. Nach nur wenigen Tagen ermordeten die Spanier Graf Wirich von
Daun-Falkenstein, den wichtigsten Führer der Protestanten im
Niederrheingebiet.
Als die männliche Linie der Grafen zu Daun-Falkenstein im Jahre 1682 mit
dem Tod Wilhelm Wirich ausgelöscht war, fiel das Lehen an die
Grafen von Leiningen, welche die Broicher Herrschaft durch einen
Rentmeister verwalten ließen.
Beginn der Industrialisierung
Die Industrialisierung Mülheims begann um 1770 mit dem Ausbau der Ruhr zu
einer Schifffahrtsstraße. Während auf dem
Unterlauf, zwischen Duisburg und der Mülheimer Innenstadt, seit dem
14. Jahrhundert Schiffsverkehr möglich war und bereits 1716 in
Duisburg-Ruhrort der erste Rheinhafen entstand, wurde die Ruhr erst 1780
durch die Errichtung der ersten Schleuse auch oberhalb der Mülheimer
Innenstadt schiffbar. Damit erfuhr der Kohlenhandel einen massiven
Aufschwung, die Schleppkähne
konnten nun von Hattingen bis zum Duisburger
Hafen
entlang des Leinpfads getreidelt werden. Mit Zeche Humboldt und Zeche
Sellerbeck entstanden um die gleiche Zeit die ersten Zechen mit
wirtschaftlicher Kohleförderung auf Mülheimer Stadtgebiet.
Die erste Fabrik in Mülheim wurde von Johann Caspar Troost 1791 mit der
später zur Troost'schen Textilfabrik ausgebauten Spinnerei im Luisental
gegründet. In der Hochzeit der Textilindustrie Mitte des 19.Jahrhunderts
war die Fabrik mit über 1200 Beschäftigten zum größten Arbeitgeber in
Mülheim geworden.Die erste Fabrik in Mülheim wurde von Johann Caspar
Troost 1791 mit der später zur Troost'schen Textilfabrik
Im Zuge der napoleonischen
Eroberungen wurden 1806 die Herrschaften Broich und Styrum aufgelöst und
es entstand das Amt Broich-Styrum, zu dem auch Mülheim gehörte. Nur zwei
Jahre später, am 18. Februar 1808, wurde Mülheim von der französisch
geprägten Regierung des Großherzogtums Berg zur Munizipalität erklärt und
nach französischem Vorbild als unterste staatliche Verwaltungseinheit
eingerichtet. Verwaltungstechnisch erfolgte die Zuordnung zum neu
geschaffenen Rhein-Departement.
Im Jahre 1811 eröffnete Mechanikus Johann Dinnendahl eine mechanische
Werkstatt und gemeinsam mit seinem Bruder, Franz Dinnendahl, gründete er
1820 eine Eisenschmelze zur Herstellung von gegossenen Maschinenteilen,
aus der später die Friedrich Wilhelms-Hütte hervorging.
Nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses wurde 1815 Mülheim in den
preußischen Staat eingegliedert und seit 1816 durch den Landkreis Essen
verwaltet, der jedoch schon zum 27. September 1823 aufgelöst und, als Teil
der Rheinprovinz, mit dem Kreis Dinslaken zum neuen
Landkreis Duisburg vereinigt wurde
Der enorme wirtschaftliche Aufschwung ermöglichte 1837 die Inbetriebnahme
der Sellerbecker Pferdebahn vom Hafen zur Zeche Sellerbeck in Dümpten und
1839 die Fertigstellung der privaten Aktienstraße vom Mülheimer Hafen nach
Essen-Borbeck.
Zwischen 1842 und 1844 wurde an der Ruhrfurt zwischen Broich und
Stadtmitte mit der Kettenbrücke die erste Hängebrücke Deutschlands in
Eisenbauweise errichtet, an deren Bau die Friedrich Wilhelms-Hütte
maßgeblich beteiligt war. Die Brücke musste 1909 einer Betonbrücke
weichen, weil der zunehmende Verkehr für gefährliche Schwingungen in der
Konstruktion verantwortlich war. Vierzig Jahre nach Erteilung der
französischen Stadtrechte erhielt Mülheim 1846 das Stadtrecht nach
preußischem Recht.
Höhepunkte der Industrialisierung
Zwischen 1850 und 1890 wandelte sich Mülheim von einem beschaulichen Ort
der Schifffahrt zu einem pulsierenden Industriestandort. 1849 wurde
– erstmals im Ruhrgebiet – in der Friedrich Wilhelms-Hütte die
Stahlproduktion mit Kokskohle aufgenommen und folgerichtig eröffnete an
der Zeche Wiesche 1861 die erste Brikettfabrik des Ruhrgebiets. Zur
Produktionssteigerung wurden viele der Kleingruben auf Mülheimer Gebiet zu
vereinigten Tiefbauzechen zusammengelegt. So förderten Anfang der 1850er
Jahre fünf Großschachtanlagen, doch das Ausbautempo der Kohleproduktion in
Mülheim war bald darauf nicht mehr steigerungsfähig und im Zuge der
Nordwanderung des Bergbaus begannen die Nachbarstädte die Mülheimer Gruben
in Bezug auf Betriebsgröße und Förderung zu überrunden. Die Anbindung der
Stadt an das Eisenbahnnetz der Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft
im Jahre 1862 und die Errichtung der
Ruhrtal-Bahn
(1872–1876) führten zu einem Niedergang der Ruhrschifffahrt und um 1890
fuhren die letzten Ruhraaken als
Kohlenschiffe.
In dieser Zeit der wirtschaftlichen Umstrukturierung erwarb August Thyssen
1871 den Heckhoffshof in Mülheim-Styrum und gründete dort die Firma
Thyssen & Co., die zur Basis eines der größten deutschen
Montankonzerne werden sollte.
Das durch die Industrialisierung ausgelöste Wachstum des Ruhrgebiets
machte Verwaltungsreformen, die teilweise in rascher Abfolge durchgeführt
wurden, notwendig. So wurde Mülheim an der Ruhr 1873 der Sitz eines neu
geschaffenen gleichnamigen Landkreises Mülheim an der Ruhr, nachdem die
Städte Duisburg und Essen kreisfrei geworden waren. Dieser Landkreis wurde
1887 schon wieder geteilt und der westliche Teil dem
Landkreis Ruhrort zugeordnet. 1904, also wiederum nur 17 Jahre
später, wurde Mülheim gemäß der neuen Rheinischen Provinzialordnung nach
Erreichen von mehr als 40.000 Einwohnern zum Stadtkreis.
Fortschritt und stetes Wachstum war in den Folgejahren zu beobachten: Im
Jahre 1897 fuhr die erste elektrische Straßenbahn in Mülheim und 1899 zog
das Infanterie-Regiment 159 in die neue Kaserne an der Kaiserstraße ein
und verhalf Mülheim damit zum Status einer Garnisonsstadt.
Auf dem Weg zur Großstadt
In der Zeit von 1904 bis 1928 formte Paul Lembke als Oberbürgermeister von
Mülheim das Antlitz der Stadt maßgeblich nach seinen Vorstellungen. Im
Jahr seines Amtsantritts wurde die Stadt mit der Eingemeindung der
linksruhrischen Stadtteile flächenmäßig um das Siebenfache vergrößert und
die Einwohnerzahl wuchs schlagartig von 40.000 auf über 93.000. Schon vier
Jahre später – zum 100-jährigen Bestehen – überschritt Mülheim die
100.000-Einwohner-Grenze und konnte sich unter die Großstädte einreihen.
Lembke verfolgte in dieser Zeit nicht die Strategie der
Bevölkerungsvermehrung durch Eingemeindung um jeden Preis. So lehnte er
die Angliederung von Alstaden und der nördlichen Teile von Dümpten und
Styrum ab und überließ sie Oberhausen, weil ihm die Bezirke zu dicht
besiedelt und vom Bergbau geprägt waren. Auf der anderen Seite forderte er
die Eingemeindung von Heißen, Süd-Dümpten und vor allem von Menden und
Raadt. Daran lässt sich das Ziel erkennen, welches Lembke verfolgte: ein
„grünes Mülheim“ zu schaffen, denn diese Stadtteile rechnen zu den
landwirtschaftlich geprägten Landstrichen mit alteingesessener
Bevölkerung.
(1912), die Eröffnung der Stadthalle (1926), der Bau von drei Ruhrbrücken
und der Ausbau des Schifffahrtskanals mit den Hafenanlagen (1927). Nicht
zuletzt ist die Schaffung großzügiger Naherholungsgebiete auf Mülheimer
Stadtgebiet als bleibende Leistung zu nennen.Während dieser Zeitspanne
legte die Stadt den kleinstädtischen Charakter ab und wandelte sich durch
entscheidende Verbesserungen in der Infrastruktur und der Wirtschaft sowie
durch wesentliche kulturelle Impulse zu einer modernen Großstadt. Dazu
rechnet der Ausbau des Schulsystems, die Ansiedlung des
Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kohlenforschung
1925 wurde in einem rein agrarisch geprägten Gebiet zwischen den Städten
Mülheim und Essen ein Verkehrslandeplatz errichtet, der im Jahr 1935 zum
zentralen Landeplatz des gesamten rheinisch-westfälischen
Industriegebietes ausgebaut wurde. Damit war er in dieser Zeit einer der
bedeutendsten deutschen Flughäfen, weit vor dem
Flughafen Düsseldorf, der von hier aus verwaltet wurde. Für das
Verwaltungs-, Flug- und Wartungspersonal wurde Ende der 1920er Jahre mit
der Richthofensiedlung eine sogenannte Fliegersiedlung in unmittelbarer
Nähe zum Flugplatz errichtet.
Nationalsozialismus
Dennoch brach in Mülheim Begeisterung über die Einsetzung Aus den letzten
freien Reichstagswahlen ging die NSDAP am 6. November 1932 in Mülheim mit
28,3 % der Stimmen als stärkste Partei hervor. Im Vergleich lag die
Wählerzustimmung zum Nationalsozialismus in Mülheim damit unter dem
deutschlandweiten Gesamtergebnis von 33,1 %. Ähnlich wie in anderen
Städten des Ruhrgebiets wurde die NSDAP zwar stärkste Partei, aber die KPD
mit 24,27 % und SPD mit 13,53 % erzielten mit 37,81 % gemeinsam mehr
Stimmen.Adolf Hitlers als Reichskanzler aus und die Bevölkerung feierte
dies mit einem Fackelzug.
Ab Mitte Februar kam es besonders im Stadtteil Dümpten zu ersten
Hausdurchsuchungen bei vermuteten Kommunisten und Ende Februar übernahmen
200 SS-, SA- und Stahlhelmangehörige offiziell die Polizeigewalt als
Hilfspolizisten in der Stadt und verhafteten zahlreiche politische Gegner.
In den ersten Kommunalwahlen nach der Machtergreifung holte die NSDAP
45,1 % der Stimmen. Im ersten Ratsbeschluss wurden Hitler und Hindenburg
die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen.
Am 30. September 1938 erfolgte die „Quasi-Enteignung“ der jüdischen
Gemeinde in Mülheim: Mit Ratsbeschluss wurde die Synagoge am Viktoriaplatz
für nur 56.000 Reichsmark an die Stadtsparkasse zwangsverkauft. Nur wenige
Wochen später brannte in der Reichspogromnacht
vom 9. auf den 10. November das jüdische Gotteshaus nieder. Der Brand
wurde ausgerechnet von der Mülheimer Feuerwehr gelegt, die sich bei den
Löscharbeiten entsprechend nur auf die Verhinderung des Übergreifens des
Feuers auf benachbarte Häuser beschränkte.
Im Juni 1941 wurde am Flughafen Essen-Mülheim
unter Verwaltung der Kölner Gestapo eingerichtet. Als Wachen fungierten 26
Schutzpolizisten der Essener Polizei und der Arbeitseinsatz erfolgte über
die Flughafengesellschaft. Bis März 1945 durchliefen nach Schätzungen 6000
bis 8000 Menschen das Lager, dabei kamen 130 Gefangene ums Leben. ein
Arbeitserziehungslager
Im Verlauf der Jahre 1943 und 1944 wurde die Stadt mehrfach zum Ziel
britischer Luftangriffe. Der schwerste Angriff fand in der Nacht vom 22.
auf den 23. Juni 1943 statt. In drei dicht aufeinander folgenden Wellen
flogen 242 Lancaster-, 155 Halifax-, 93 Stirling-, 55 Wellington- und 12
Mosquito- Bomber die Stadt an. Hauptziele waren die Innenstadt, die
Eisenbahnlinien, die Deutschen Röhrenwerke, die Firma Schmitz-Scholl als
Provianthersteller für die Wehrmacht, das Reichsbahnausbesserungswerk und
der Hafen. Der Angriff forderte 530 Tote unter der Stadtbevölkerung und
1630 Gebäude (64 %) wurden zerstört oder beschädigt. Etwa 40.000 Einwohner
mussten daraufhin evakuiert werden.
Bei einem weiteren Bombenangriff, der eigentlich der Stadt Oberhausen
galt, trafen in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1944 einige Bomben
den Stadtteil Dümpten. Dort und in umliegenden Stadtteilen kamen 33
Einwohner ums Leben. Am 24. Dezember 1944 erfolgte der letzte schwere
Angriff: Zur Abwehr der deutschen Ardennenoffensive, die Luftunterstützung
durch den Mülheimer Flughafen bekam, griffen 338 britische Bomber den
Flughafen Essen-Mülheim an. 74 Einwohner der Stadt verloren ihr Leben,
davon allein 50 bei einem Volltreffer auf den Bunker in der
Windmühlenstraße.
getötet. Oberbürgermeister Hasenjäger übergab um 9:40 Uhr die Stadt den
Amerikanern, die einige Monate später von den Briten als Besatzungsmacht
abgelöst wurden.Das Ende des Kriegs kam für die Stadt am 11. April 1945.
Zur Verteidigung gegen die anrückenden Truppen befanden sich noch 200
Soldaten des 183. Volksgrenadierregiments auf Mülheimer Gebiet, die von
etwa 3000 Angehörigen des Volkssturms unterstützt werden sollten. Am
Morgen rückten die ersten Soldaten der 17. US-Luftlandedivision von Essen
über den Stadtteil Heißen in die Stadtmitte vor. Im Stadtgebiet kam es nur
im Bereich der Kämpchenstraße zu einem kurzen Kampf zwischen einigen
Volkssturmleuten und den Amerikanern. Dabei wurden zwei Volkssturmmänner
und drei GIs getötet. Oberbürgermeister Hasenjäger übergab um 9:40 Uhr die
Stadt den Amerikanern, die einige Monate später von den Briten als
Besatzungsmacht abgelöst wurden.
Nachkriegszeit
Bei Kriegsende lebten nur noch 88.000 Menschen in Mülheim, doch schon Ende
1945 war die Zahl durch Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge wieder auf
125.441 angewachsen. Der Wiederaufbau begann zunächst unter dem Eindruck
von Demontagen, die vor allem die Eisen- und Stahlindustrie betrafen.
Bereits 1950 waren die Mannesmannröhren-Werke wieder Westeuropas größter
Röhrenproduzent. Die Beschäftigtenzahl des Werkes stieg von 6.000 (1950)
auf über 10.500 (1961) und Ähnliches gilt für die Zahl der
Gesamtbeschäftigten, die von 49.000 auf 82.000 anwuchs.
1964 begann für die Stadt der lange und schwierige Strukturwandel. Bedingt
durch die Stahl- und Kohlekrise wurde an den Hochöfen der Friedrich
Wilhelms-Hütte
die letzte Schicht gefahren. Mülheim besaß damit als erste Stadt im
Ruhrgebiet keine Stahlproduktion mehr. Zwei Jahre später (1966) musste die
Kohleförderung auf der Zeche Rosenblumendelle
eingestellt werden. Damit war Mülheim als erste Ruhrgebietsstadt
bergbaufrei.
Der Umstrukturierungsprozess führte 1973 zur Eröffnung des
RheinRuhrZentrums auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Humboldt.
Deutschlands ehedem größtes überdachtes Einkaufszentrum steht seitdem
symbolhaft für die Rückbesinnung auf die traditionsreiche Vergangenheit
als Handelsstadt. 1974 folgte die Fertigstellung des City-Centers
als innerstädtisches Einkaufszentrum und die Umgestaltung der Schloßstraße
zur Fußgängerzone.
Das ehrgeizige Projekt einer durchgängigen
Stadtbahnverbindung
zwischen den Städten des westlichen Ruhrgebiets wurde 1979 mit der
U-Stadtbahnstrecke von Mülheim-Hauptbahnhof bis Essen in einer ersten
Etappe teilweise verwirklicht.
Die 1992 in der Stadt durchgeführte nordrhein-westfälische
Landesgartenschau MüGa führte im Mülheimer Ruhrtal zu erheblichen
Umgestaltungen. Vor allem im Kernbereich der Ausstellung, um den
Ringlokschuppen herum, wurden unansehnliche Industriebrachen in
Grünanlagen verwandelt.
Mülheims Geschichte als Garnisonsstadt endete 1994, als die Britische
Rheinarmee nach 48 Jahren die Wrexham Barracks verließ. Diese
zweite Mülheimer Kaserne war Ende der 1930er Jahre für die Wehrmacht
errichtet worden, während die alte Kaserne an der Kaiserstraße nach 1945
nicht mehr von Militär weitergenutzt und Mitte der 1970er Jahre
abgebrochen wurde.
1998 wurde mit der Eröffnung des Ruhrtunnels der Streckenverlauf der
Stadtbahnverbindung vom Hauptbahnhof in Richtung Broich und
Duisburg fortgesetzt.
und mit dem Gründerzentrum im Haus der Wirtschaft, das 2005 eröffnet
wurde, steht potentiellen Dem Strukturwandel werden seit Jahren immer
wieder neue Impulse gegeben: So entsteht auf einer insgesamt
245.000 Quadratmeter großen Industriebrache an der Mellinghofer Straße
seit dem Jahre 2000 der Siemens TechnoparkExistenzgründern eine zentrale
Niederlassungsmöglichkeit zur Verfügung.
Eingemeindungen und Einwohnerentwicklung
Bevölkerung (Stand:
31. Dezember 2006) |
0–18 Jahre |
16,0 % |
19–65 Jahre |
60,7 % |
über 65 Jahre |
23,3 % |
Ausländeranteil |
11,12 % |
Mit über 10.000 Einwohnern war Mülheim bei der Stadtwerdung im Jahre 1808
– nach Düsseldorf und Wuppertal (damals Elberfeld und Barmen) – die
drittgrößte Gemeinde in dem Bereich, der dem heutigen Regierungsbezirk
Düsseldorf entspricht. Die Nachbargemeinden Duisburg (4.500 Einwohner) und
Essen (3.700 Einwohner) hatten eine wesentlich geringere Bedeutung. Der
Beginn der Industrialisierung hatte eine signifikante Bevölkerungszunahme
zur Folge. Damit einher ging die Eingemeindung kleinerer Ortschaften in
der Randlage zu Mülheim:
- 1878 wurden Eppinghofen und Mellinghofen (beide aus der
Bürgermeisterei Mülheim-Land) dem Stadtgebiet angegliedert.
- 1904 folgte die Bürgermeisterei Broich mit den Gemeinden Broich,
Saarn und Speldorf und ebenfall
- 1904 Holthausen (aus der Bürgermeisterei Heißen) und die
Bürgermeisterei Styrum
- 1910 erreichte Oberbürgermeister Dr. Lembke die Angliederung von
Oberdümpten und der Bürgermeisterei Heißen mit den Ortsteilen Heißen,
Winkhausen und Fulerum, während die hoch industrialisierten Bezirke
Unterstyrum, Alstaden und Unterdümpten nach Oberhausen umgegliedert
wurden
- 1920 wurden Menden und Raadt, die bis 1910 Teil der Bürgermeisterei
Heißen und anschließend selbständige Gemeinde waren, eingemeindet
- 1929 wurde das Stadtgebiet erheblich nach Süden ausgedehnt und
Selbeck (Amt Mintard), Ickten und Teile von Umstand (Amt Kettwig-Land)
gingen an Mülheim
- 1975 folgte die letzte Erweiterung: Mintard, seit 1930 Teil der
Stadt Kettwig, ging an Mülheim, während
die Stadt Kettwig in Essen eingemeindet wird.
Bevölkerungsentwicklung
1904 verdoppelte sich die Bevölkerung von Mülheim nach der Eingemeindung
mehrerer Ortschaften – darunter der Gemeinde Styrum (18.434 Einwohner
1900) – von etwa 40.000 auf über 93.000. Durch anhaltende Zuwanderung
überschritt die Einwohnerzahl der Stadt 1908 die Grenze von 100.000,
wodurch Mülheim zur Großstadt wurde. 1971 erreichte die Bevölkerungszahl
mit 192.915 ihren historischen Höchststand. Am 31. Dezember 2008 lebten in
Mülheim nach Fortschreibung des Landesamtes für
Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen 168.288
Menschen mit Hauptwohnsitz.
Religionen
Christentum
Mülheim an der Ruhr gehörte im Mittelalter zum Bistum Lüttich, später zum
Erzbistum Köln. Noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts führten die
Broicher Landesherren durch Bestellung eines geeigneten Pastors die
Reformation ein. Zunächst handelte es sich um eine Gemeinde nach
lutherischem, im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts, wiederum durch
Einsetzung eines entsprechenden Pastors, nach reformiertem Bekenntnis. Ab
1621 waren wieder lutherische
Gemeindeglieder vorhanden und diese gründeten 1658 eine eigene Gemeinde.
Beide gehörten ab 1817 zur Evangelischen Kirche in Preußen und deren
rheinischer Provinzialkirche. Auf der auf königliche Anordnung 1817
gegründeten Kreissynode Düsseldorf schlossen sich einmütig
Gemeinden beider Konfessionen zusammen. Eine Vereinigung der beiden
Gemeinden in Mülheim kam aber im Gegensatz zu Ratingen (1817), Essen
(1819) Düsseldorf (1825) vorerst nicht zustande. Erst 1887 vereinigten
sich die reformierte und die lutherische Gemeinde zur Evangelischen
Gemeinde Mülheim an der Ruhr (unierte Gemeinde). 1870 trennten sich
die Gemeinden an der Ruhr von Düsseldorf und bildeten noch mit
Essen (bis 1900, die Ruhrgemeinden Essens bis 1934) und Oberhausen (bis
1954) den Kirchenkreis an der Ruhr innerhalb der Evangelischen
Kirche im Rheinland. Zu ihm gehören heute alle sieben evangelischen
Kirchengemeinden der Stadt Mülheim an der Ruhr (Vereinte,
Lukaskirchengemeinde, Broich, Heißen, Markuskirchengemeinde, Saarn und
Speldorf) sowie die Kirchengemeinde Kettwig (Stadt Essen).
Spätestens im 19. Jahrhundert zogen wieder Katholiken nach Mülheim. Die
neu errichteten Gemeinden gehörten zunächst zum Erzbistum Köln, bis sie
1958 dem neu gegründeten Bistum Essen zugeordnet wurden. Nur die
Pfarrgemeinde St. Laurentius des erst 1975 nach Mülheim eingegliederten
Ortes Mintard gehört weiterhin zum Erzbistum Köln. Die zum Stadtdekanat
Mülheim des Bistums Essen gehörenden 15 Pfarrgemeinden waren Christ König,
Heilig Geist, Heilig Kreuz, Herz Jesu, St. Barbara, St. Elisabeth, St.
Engelbert, St. Joseph, St. Mariä Geburt, St. Maria Himmelfahrt, St. Mariae
Rosenkranz mit der Filialkirche St. Albertus Magnus (Fusion 2000), St.
Michael, St. Raphael, St. Theresia von Avila und St. Theresia vom Kinde
Jesu. Das Zukunftskonzept des Bistums Essen, das bis 2008 umgesetzt wurde,
sah die Reduzierung auf drei Pfarrgemeinden mit neun Kirchen und vier
Filialkirchen vor. Die Kirche St. Raphael wurde profaniert und einem
anderen Nutzungszweck zugeführt, die Hl. Kreuz Kirche wurde zur
Auferstehungskirche mit Kolumbarium umgewidmet.
Ferner gibt es in Mülheim Gemeinden, die zu Freikirchen gehören: die
Siebenten-Tags-Adventisten (STA), drei Evangelisch-Freikirchliche
Gemeinden (Baptisten), die Evangelisch-methodistische Kirche und die
Freie evangelische Gemeinde (FeG).
Eine besondere Bedeutung als Gründungsort hat die Stadt für einen
pfingstlerisch geprägten Freikirchenverband: Der 1905 gegründete Mülheimer
Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden führte Anfang des
20. Jahrhunderts von Mülheim aus zu einer großen nationalen
Erweckung, in dessen Zuge sich die Christus
Gemeinde Mülheim als erste Pfingstkirche in Deutschland
gründete.
Auch sind in Mülheim an der Ruhr die Neuapostolische Kirche und die
Gemeinschaft der Zeugen Jehovas vertreten.
Judentum
Über 500 Jahre lebten Juden in Mülheim an der Ruhr, oft als geduldete
Minderheit, die für ihre Duldung hohe Abgaben zu zahlen hatten und nur
zeitweise freie und angesehene Mitbürger waren.
Zu Beginn der 1930er-Jahre gehörten rund 650 Mülheimer dem jüdischen
Glauben an, die sich in zwei Synagogen zum gemeinsamen Gebet trafen. Die
Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 führte zu offenem
Antisemitismus. Der Druck, der auf jüdische Geschäftsleute ausgeübt wurde,
führte schnell zu ersten Geschäftsschließungen, zur täglichen Bedrohung in
der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz, in Schulen und Vereinen und zu
ersten Emigrationen.
Zwischen 1933 und 1936 wanderten rund 200 jüdische Mitbürger aus, darunter
nur wenige der alteingesessenen jüdischen Mülheimer, die sich zu diesem
Zeitpunkt trotz aller Schikanen noch sicher fühlten. 1938 war die jüdische
Bevölkerung durch erste Deportationen
und die Auswanderungen auf die Hälfte geschrumpft. Die große Synagoge am
Viktoriaplatz musste aus Geldmangel und auf Druck der Stadt veräußert
werden. Die Reichspogromnacht führte zu einer weiteren Verschlimmerung der
Lage und in den Folgejahren bis 1943/1944 wurden die in Mülheim noch
lebenden Juden in mehreren Häusern gettoisiert
und schubweise in die Konzentrations- und Todeslager verbracht. Im Jahr
2009 wurde vor dem Landgericht München II im Prozess gegen John Demjanjuk
auch die Ermordung von Mülheimer Juden in
Sobibor zur Anklage gebracht
Insgesamt emigrierten 233 Mülheimer Juden, meist nach Palästina oder nach
Südamerika. Mindestens 266 jüdische Mülheimer wurden ermordet, wobei die
exakte Zahl wegen der über 50 unbekannten Schicksale höher liegen dürfte.
Mehr als 80 starben in Mülheim, einzelne begingen Selbstmord und entzogen
sich so der Verfolgung, Demütigung und Deportation.
Nur 39 jüdische Mülheimer kehrten aus den Konzentrationslagern oder
Verstecken zurück und die nach Mülheim zurückgekehrten Überlebenden des
Holocaust gründeten zu Beginn des Jahres 1946 die Jüdische Gemeinde
Mülheim, deren Vorsitzender bis 1968 Salomon Lifsches war. 1955 erfolgte
der Zusammenschluss mit der benachbarten Duisburger Gemeinde und die Zahl
der Mitglieder wuchs auf 83 an. 1960 konnte die Mülheimer Synagoge in der
Kampstraße eingeweiht werden. Im Jahre 1968 haben sich die jüdischen
Gemeinden in Mülheim, Duisburg und Oberhausen zu einer gemeinsamen
Kultusgemeinde – der Jüdischen Gemeinde
Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen – zusammengeschlossen.
In den 1990er Jahren wuchs die Zahl der Gemeindemitglieder durch die
Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion auf über 2.800
Mitglieder an und machte den Neubau einer Synagoge erforderlich. Gemeinsam
einigten sich die Jüdische Gemeinde und die drei Städte Mülheim, Duisburg
und Oberhausen auf den Neubau im Duisburger
Innenhafen. Und seit Einweihung des neuen Gemeindezentrums der
Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen in Duisburg im Jahre
1999 ist dieser Ort mit Leben gefüllt.
Es finden dort unter anderem Kulturveranstaltungen statt, so eine
jährliche Jüdische Buchmesse sowie die Jüdischen Kulturtage im
Rheinland. Aber auch das Engagement im Bereich der Familien- und
Jugendarbeit ist im Gemeindezentrum mit dem Kinder-
und Jugendzentrum Tikwatejnu beheimatet – Tikwatejnu
ist Hebräisch und bedeutet übersetzt „Unsere Hoffnung“. Aber auch in
Mülheim und Oberhausen sind Büros und Räumlichkeiten vorhanden, um auch
hier vor Ort Familien- und Jugendarbeit leisten zu können.
Islam
In Mülheim gibt es mehrere islamische Gemeinden, insgesamt stellt die
islamische Bevölkerung zwischen 8 % und 10 % der Gesamtbevölkerung und
damit die drittgrößte Religionsgruppe der Stadt.
Die türkische Fatih Camii Gemeinde verfügt über einen der größten
islamischen Gebetsräume Deutschlands.
Die arabische Islamische Gemeinde Mülheims sorgte im Jahre 2005 für
überregionale Schlagzeilen, als die Pläne des Vereins bekannt wurden, das
leerstehende Gebäude der Landeszentralbank zu erwerben. Obwohl der Abriss
des bisherigen Gebetsraumes drohte, weil die Stadtverwaltung eine
Straßenerweiterung plante, wurden die Umzugspläne in das gut gesicherte
Bankgebäude von Politikern und Zeitungen als „Verschanzung hinter
Panzerglas“ dargestellt. Erst nach langen Verhandlungen konnte dem Verein
das ehemalige Haus der Wirtschaft zum Kauf angeboten werden. Die
rund 280 Mitglieder finden in dem Haus, das im September 2006 eröffnet
wurde, einen erheblich größeren Gebetsraum, eine Küche und verschiedene
Unterrichtsräume.
Politik und Verwaltung
Gemeindeordnung. An der Spitze der Stadt standen der Gemeindevorstand mit
dem Bürgermeister und der Gemeinderat, ab 1856 der Magistrat mit dem
Bürgermeister und die Stadtverordnetenversammlung (Rheinische
Städteordnung). Ab 1895 trug das Stadtoberhaupt Mülheims meist den Titel
Die erste Verwaltung im modernen Sinne wurde 1808 eingerichtet, als
Mülheim die Stadtrechte erhielt und die verwaltungstechnische
Verantwortung den drei Munizipalräten und einem Bürgermeister auferlegt
wurde. 1846 folgte die revidierte Städteordnung mit einem Magistrat und
der Stadtverordnetenversammlung und ab 1851 galt die neue
preußischeOberbürgermeister.
Während der Zeit der Nationalsozialisten wurde der Oberbürgermeister von
der NSDAP eingesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die
Militärregierung der Britischen Besatzungszone einen neuen
Oberbürgermeister ein und führte 1946 die Kommunalverfassung nach
britischem Vorbild ein. Danach gab es einen vom Volk gewählten Rat der
Stadt, dessen Mitglieder als Stadtverordnete
bezeichnet wurden. Der Rat wählte anfangs aus seiner Mitte den
Oberbürgermeister als Vorsitzenden und Repräsentanten der Stadt, welcher
ehrenamtlich tätig war und einen hauptamtlichen Oberstadtdirektor als
Leiter der Stadtverwaltung.
1999 wurde diese Doppelspitze in der Stadtverwaltung abgeschafft. Seither
ist der hauptamtliche Oberbürgermeister als Vorsitzender des Rates, Leiter
der Stadtverwaltung und Repräsentant der Stadt tätig. Er wird – ebenfalls
seit 1999 – direkt von der Mülheimer Bevölkerung gewählt.
Seit 1975 das Stadtgebiet in die drei Stadtbezirke unterteilt ist, stellen
diese je eine Bezirksvertretung mit einem Bezirksbürgermeister. Die
Bezirksvertretung hat 19 Mitglieder und wird bei jeder Kommunalwahl (alle
fünf Jahre) von der Bevölkerung des Stadtbezirks gewählt.
Die Stadt gehört verwaltungstechnisch zum Regierungsbezirk Düsseldorf,
Landschaftsverband Rheinland und Regionalverband Ruhr. Mülheim galt
jahrzehntelang als traditionelle Hochburg der SPD, bis diese 1994 vom
ersten schwarz-grünen Bündnis in einer
nordrheinwestfälischen Großstadt abgelöst wurden. Seitdem ist das lokale
Parteienspektrum breiter geworden und auch bei Land- und Bundestagswahlen
ist die bisherige absolute Mehrheit für den sozialdemokratischen
Kandidaten nicht mehr selbstverständlich. Lokalpolitisches Hauptthema ist
seit der Wahl von Dagmar Mühlenfeld zur Oberbürgermeisterin im Jahr 2003
das kontrovers diskutierte Stadtplanungsprojekt Ruhrbania, das die
Attraktivität Mülheims für Unternehmen und Bewohner erhöhen soll, dem aber
auch Grünflächen und bestehende Infrastruktur weichen müssen.
Am 30. September 2009 lagen die kurzfristigen Verbindlichkeiten der Stadt
bei 405 Millionen Euro und die Investitionskredite einschließlich der
Eigenbetriebe wurden auf 469 Millionen Euro beziffert. Insgesamt ergeben
sich kommunale Schulden von 874 Mio. Euro.
Mülheim klagt über die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise, dramatisch
einbrechende Einnahmen und stark steigende Sozialabgaben. Sieben Millionen
Euro fehlten 2009, 2010 werden 12,5 Millionen Euro fehlen.
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